Gedanken kramen

Erziehungsstile

Liebes Kind!

Einmal, als ich in der ersten Klasse war, kam meine Freundin bedrückt in die Schule. Sie hatte vergessen den Müll runter zu bringen, ihr Vater war ausgeflippt und nun gab es Stubenarrest. So was Blödes, spielen und träumen war irgendwie wichtiger als volle Mülleimer. Ich empfand ihre Eltern immer als besonders streng.

In dieser Zeit habe ich gelernt, wie unterschiedlich es in den Elternhäusern zuging.

Oft wurde ich beneidet, wie offen und fröhlich meine Mutter war. Immer interessiert an Menschen. Und zwar an allen Menschen, egal welcher Schicht sie angehörten. Jeder war willkommen. Sie war in der Lage Harmonie herzustellen, gut Wetter zu machen, mit zuschwimmen und falls es ein Gewitter gab, unterzutauchen. Danach stieg sie gut gelaunt wieder auf und machte weiter, als wenn nichts war. Mein Vater war sehr kreativ, unglaublich klug, belesen und spielte verrückte Sachen mit uns. Wir übten Fratzen „Es ist sehr wichtig im Leben Fratzen zu können!“ Ich war so glücklich darüber. Aber er konnte auch Gewitter machen, bekam Tobsuchtsanfälle, schrie cholerisch durch die Wohnung. Ich war angsterfüllt und gelähmt. Es war nicht einschätzbar für mich, wann es soweit war und die Wut kam.

Mit Sicherheit haben meine Geschwister diese Situationen unterschiedlich empfunden und auch verschieden darauf reagiert. Genauso individuell wie die Wahrnehmung haben wir uns entwickelt, und trotzdem gibt es bestimmte Muster, die sich in der jeweiligen biografischen Landkarte gleichen oder zumindest ähneln.

Irgendwann begann ich mich zu fragen, wie sind meine Eltern aufgewachsen und erzogen worden? Welche Familien, Lebensstile und sozialen Schichten steckten dahinter.? Wie war der damalige Zeitgeist, welche Werte, gesellschaftlichen Regeln waren wichtig? Woher kam ihre Weltanschauung? Also wie sind sie sozialisiert?

Ich finde es wichtig, sich mit der eigenen Biografie zu beschäftigen und gründlich zu reflektieren. Als nun doch recht frische Oma, bekommt das für mich nochmal eine neue Qualität.

Jeder Mensch hat in seiner Kindheit verschiedene Erfahrungen gesammelt, es haben sich individuelle Muster entwickelt. Dementsprechend verhalten wir uns und vieles tun wir unbewusst. Um den Blick für sich und sein Umfeld zu schulen, kann es z.B. wertvoll sein, sich mit der Stellung in der eigenen Herkunftsfamilie auseinanderzusetzen. Gibt es Geschwister? An welcher Stelle in der Geschwisterreihe ist man verortet? Ob jemand ältestes Kind von mehreren Geschwistern, Mittelkind oder jüngstes Kind ist, kann sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Es gibt die wildesten Konstellationen und jeder Mensch ist mit seiner Persönlichkeit gefordert, sich dem zu stellen. Die Rolle in der Familie wird zu einem Teil selbst gewählt, ein anderer Teil wird einem zugewiesen. Ist man der „gute Junge“, die „widerspenstige Göre“, dass „angepasste Mädel“, das „rotzfreche Kind“ oder der „begabte Bub“. Wenn z.B. das „liebe Kind“ schon durch ein anderes Geschwister besetzt ist, dann wird der eigene Platz nach individuellem Vermögen anders gefüllt. Diese Anpassung ist immer eine Leistung, ob das gezeigte Verhalten angenehm für das Umfeld ist oder nicht. 

Reflexion

Wie verlief Ihre Erziehung? Gab es einen Rahmen mit Regeln oder war das Zusammenleben eher strukturlos, chaotisch, frei oder eher gefangen? Wurde gesprochen oder geschwiegen, gab es eine Konfliktkultur? Wie waren die Atmosphäre und der Ton in der Familie? All das können interessante Fragen sein.

Wenn Sie dies gemeinsam mit Ihren nahen Vertrauten betrachten, kann das gegenseitige Verständnis wachsen. Woher kommen Sie? Wie wollen Sie, vielleicht gemeinsam, wachsen? Sind Sie selbst Eltern, könnten Sie darüber nachdenken, welchen Erziehungsstil Sie bevorzugten, ob dieser zeitgemäß ist und ob er sich in Ihren Verhaltensweisen widerspiegelt.

Über die eigene Erziehung reflektieren, ist sehr persönlich. Wenn Sie mit anderen reflektieren, ist wichtig dabei: Jeder ist für sich selbst verantwortlich, es gibt keinen Zwang, alles wird vertrauensvoll und vor allem freiwillig erzählt.

Als ich folgende Methode für pädagogische Teams entwickelte, entschied ich mich, die Erziehungsstile nach Prof. Dr. Klaus Hurrelmann* zu verwenden. Sie sind nachvollziehbar dargelegt und aus meiner Beobachtung lebensnah.

Die Teilnehmer*innen überlegen und fühlen nach, welchen Erziehungsstil sie als Kind erlebt haben. Dann wird erzählt. Je nach Zusammensetzung der Personen und Vertrauen in der Gruppe, kann mehr oder weniger tiefgründig reflektiert werden. Antworten sind immer subjektiv und werden nicht Infrage gestellt. Es dürfen nur Verständnisfragen gestellt werden. Am Ende geht es nicht um eine Nabelschau, sondern um ein besseres gegenseitiges Verstehen! Wenn Sie diese Methode im Arbeitskontext anwenden möchten, empfiehlt es sich, Erfahrungen in der Moderation solcher Fragestellungen zu haben.

Die wichtigsten Fragen dieser Übung sind:

  • Was bedeuten die Ergebnisse für Sie?
  • Welche Wirkung haben Ihre Erfahrungen auf Sie selbst und auf Ihr Umfeld?
  • Welche Werte tragen Sie weiter?
  • Was ist wichtig?
  • Womit können/sollten Sie Ihren Frieden machen?

Wunderbar ist, dass sehr ressourcenorientiert reflektiert werden kann: 

  • Welche Fähigkeiten haben Sie und wie aktivieren Sie diese?
  • Wie unterstützen Sie Ihre eigenen Kinder/Enkelkinder, all die Schätze zu heben die sie mitbringen, und zwar unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und persönlichen Eigenarten?
  • Wie gleichen Sie Defizite aus und wie bestärken Sie die Kinder/Enkelkinder?

Nach Prof. Dr. Klaus Hurrelmann ist der autoritative, partizipative Erziehungsstil empfehlenswert. Diesen könne man sich in der ausgewogenen Anwendung des magischen Erziehungsdreieckes aus Anregung, Anleitung und Anerkennung vorstellen.

Was denken Sie darüber? Schreiben Sie mir doch einen Kommentar dazu. Ich freue mich über Ihr Feedback. 

Alles Gute!
Ihre Aline Kramer

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