Streit - ein Fallbeispiel
„Was nicht umstritten ist, ist auch nicht sonderlich interessant.“
Goethe
Dieses Zitat wird Goethe zugeschrieben. Und wie Recht er doch hatte oder was meinen Sie?
Zeit für Streit
Heute erzähle ich Ihnen ein Fallbeispiel aus meiner Praxis. Es geht um einen Teamkonflikt, wie konstruktive Lösungen und Ideen gefunden wurden und außerdem bekommen Sie Impulse für eine selbst bestimmte Konfliktlösung.
Eines Tages rief mich der Koordinator eines Trägers für Kindertagesstätten an und berichtete aufgeregt von einem Konflikt in einem Kita Team. Der „mega“ Streit - wie er es nannte- störe Abläufe, es herrsche allgemeine Unzufriedenheit und viele Mitarbeiter*innen seien krank. Nun wollten sie sehr zeitnah einen Teamtag nutzen, um dem Konflikt auf den Grund zu gehen. Alle Formalien wurden geklärt und dann konnten wir beginnen.
Als das Team zu mir in die Praxis kam, war die Atmosphäre spürbar angespannt. Dicke Luft sozusagen.
Zunächst glichen wir Erwartungen an dem Tag ab. Das Team wünschte sich, dass Probleme ehrlich angesprochen würden, ein respektvolles Miteinander und dass sie sich näher kämen. "Eigentlich" sagte die Leitung "wäre gut, wenn überhaupt mal wieder gesprochen wird."
Ich ließ ein Stimmungsbild erstellen. Die meisten Mitarbeiter*innen fühlten sich als Teil des Teams und auch die Struktur wurde für gut befunden. Dennoch war durchaus bewusst, dass „etwas liegt im Argen“ lag. Dass es ein „Ding“ gab.
Aber dieses „Ding“ war nicht greifbar. Wir erforschten gemeinsam, wie sich das „Ding“ äußerte.
Es wurde deutlich, wie unterschiedlich Situationen wahrgenommen werden. Jede*r schaut aus seiner ganz eigenen Perspektive. Eigentlich klar, nicht wahr, dennoch eine erste wichtige Erkenntnis.
Wir erarbeiteten, welche Abhängigkeiten es gab, wer auf wen in welcher Weise angewiesen war und was das in der Zusammenarbeit ausmachte. Außerdem war es offensichtlich sehr schwierig, Probleme oder Fehler zu benennen, weil es alle doch nett und friedlich haben wollten.
Die Basis eines Konfliktes ist, dass mindestens zwei Menschen unterschiedliche Bedürfnisse oder Absichten haben. Es wird geglaubt, dass ausschließlich eins davon verwirklicht werden kann und unter Umständen das eigene(!) unerfüllt bleibt.
Ich fragte, was sie denn glauben, was das Thema hinter dem Thema ist? Schweigen! Niemand wagte es auszusprechen.
Konflikte kann eine Person mit sich selbst oder mit anderen Personen haben. Angeblich geht es um sachliche Entscheidungen, tatsächlich aber um tieferliegende Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen. Die wahren Streitgründe werden in der Regel sorgsam verborgen – wenn sie im Konflikt überhaupt bewusst sind.
Also erläuterte ich dem Team das bekannte Eisbergmodell. Stellen Sie sich einen Eisberg vor. Er schwimmt im Wasser und nur ein kleiner Teil von ca. 10-20% ist wirklich sichtbar. Alles andere, 80-90% sind nicht zu sehen.
Diese Bild ist übertragbar auf unsere Kommunikation.
10-20% einer Botschaft sind erkennbar (was übrigens nicht bedeutet, dass die Botschaft wirklich verstanden wird, dazu hier mehr).
Jedenfalls können die anderen ca. 80-90% nur vermutet werden. Diese 80-90% Informationen werden verdeckt und häufig auf der Beziehungsebene ausgetragen. Es sind Stimmungen, Gefühle, Werte, Interpretationen, Missverständnisse, strukturelle Bedingungen, Sichtweisen oder auch ganz persönliche Situationen und Probleme. All das bleibt verborgen und wird mitunter nicht mal bewusst ausagiert.
Natürlich bleibt das nicht ohne Auswirkungen auf die Inhaltsebene.
Dieser Blick auf das Modell war für das Team zunächst sehr entlastend.
Dann forschten wir weiter und ich fragte, bis wann war es gut im Team? Und ab wann wurde es anders?
Nun kamen wir näher an den wesentlichen Punkt.
Eine heißgeliebte ältere Kollegin, die allen Halt gegeben hatte, war vor einem halben Jahr in Rente gegangen. Fast zeitgleich gab es einen Leitungswechsel. Rollen veränderten sich, wurden neu besetzt, einiges lief anders, vieles war unklar und musste sich neu zurechtruckeln.
Sie befanden sich in einem Veränderungsprozess und waren tief verunsichert. In dieser Zeit versuchten sie besonders vorsichtig miteinander umzugehen. Es sollte so schön bleiben, wie es vorher war.
Die Ergebnisse waren allerdings: missverständliche Situationen, Vertrauensverlust, Enttäuschungen, Unsicherheiten, Grüppchenbildung, Klagen und Anklagen. Kritik zu äußern und anzunehmen, war nochmal schwerer, als sonst.
Die meisten Mitarbeiter*innen sagten von sich, dass sie Angst hätten, in Auseinandersetzung zu gehen. Das erkennen und ziehen von eigenen oder auch fachlichen Grenzen war kompliziert. Sie wüssten schlichtweg nicht, wie man Konflikte anspricht und erfolgreich löst.
Was bedeutet es denn konfliktfähig zu sein?
Was meinen Sie?
Ich denke es bedeutet, konstruktiv in Auseinandersetzungen zu gehen. Dazu muss eine Basis geschaffen werden: Eine faire Streitkultur, die geprägt ist von Toleranz, Offenheit, die Fehler zulässt und die eine gemeinsame Suche nach angemessenen Lösungen möglich macht. Und das Wichtigste, wer hätte das gedacht, sind tragbare Beziehungen, also Vertrauen und ein Gefühl von Sicherheit.
Und Achtung! das ist nicht zu verwechseln mit „Küsschen Kultur“, sondern meint die Grundlage für einen professionellen Austausch, um eine wertvolle Arbeit mit dem Klientel, hier den Kindern, zu gewährleisten.
„Nicht jene die streiten sind zu fürchten, sondern jene die ausweichen.“
Freifrau Marie von Ebner-Eschenbach
Sehr hilfreich in Konflikten ist immer ein Blick von außen oder oben.
Versuchen Sie aus der Vogelperspektive auf den Konflikt zu schauen.
Was ist los? Wer ist beteiligt und um wen oder was geht es wirklich? Wie Verhalten sich die Beteiligten? Wie äußert sich das? Was genau ist der Kern des Problems? Und so weiter.
Häufig entdeckt man einen Teufelskreis. Kennen Sie das auch?
Wenn Sie mögliche Teufelskreise bewusst machen, kann das sehr unterstützend für die Konfliktklärung sein.
Die ursprüngliche Begrifflichkeit "Teufelskreis" wurde von Paul Watzlawick (Philosoph und Kommunikationswissenschaftler) eingeführt, weiterentwickelt wurde das Modell von Christoph Thomann (Psychologe, Konfliktmoderator) und Friedemann Schulz von Thun (Kommunikationspsychologe).
Das Modell vom Teufelskreis hilft negative Spannungen in Beziehungen zu erfassen, Hintergründe zu begreifen, Fallen zu erkennen UND aus dem Kreis auszusteigen.
Mit Hilfe des Modells lässt sich einerseits darstellen, was die äußerlich sichtbaren und wirksamen Verhaltensweisen oder Äußerungen der Konfliktparteien sind. Andererseits sind auch die inneren Reaktionen Bestandteil des Teufelskreises. Hier können zum Beispiel die Gefühle sichtbar gemacht werden.
In dem Teamkonflikt spielten sich mehrere Teufelskreise ab. Um das praktisch zu verstehen, beschreibe ich ein Beispiel.
Es gab eine Kollegin, nennen wir Sie Julia, die verunsichert war und sich zurückzog. Die neue Leitung, nennen wir sie Susanne, fühlte sich dadurch abgelehnt, nicht ernst genommen. Sie war entsprechend distanziert. Susanne versuchte durch Vorgaben Julia aus der Reserve zu locken. Julia wiederum fühlte sich entsprechend bevormundet, kritisiert, verunsichert und zog sich zurück. Damit war der Teufelskreis geschlossen.
Als wir diesen Teufelskreis sichtbar machen konnten, gab es die Möglichkeit darüber zu sprechen. Was wollten Sie? Was war Ihnen wichtig? Wie wollten Sie arbeiten und wie nicht? Erwartungen und Bedürfnisse wurden benannt und geschaut. Was kann erfüllt werden und was nicht? Sie konnten Ideen für den Umgang miteinander entwickeln.
Ganz wichtig: nur durch Eigenverantwortung kamen Sie aus dem Teufelskreis. In ein erwachsenes, konstruktives Vorgehen.
Wie können Sie Konflikte konstruktiv ansprechen?
Am Ende zeigte ich dem Team noch eine Möglichkeit, wie Schwierigkeiten konstruktiv angesprochen werden können.
Reden hilft meistens. Die Frage ist nur: Wie? Und es ist wichtig, dass beide Personen bereit für ein solches Gespräch sind.
Es gibt eine kleine, aber wirkungsvolle Vorgehensweise.
Sie nennt sich: „Sag es!“
Sichtweise schildern – „Mir ist aufgefallen, dass…“
Auswirkungen beschreiben – „Für mich heißt das…“
Gefühle benennen – „Ich fühle mich…“
Erfragen – „Wie siehst du das?“
Schlussfolgerungen möglichst gemeinsam – „Was machen wir jetzt damit?“
Hilfreich ist, diese Methode im ganzen Team oder auch in der Familie zu besprechen. Dann können Sie gemeinsam üben. Das kann sogar ganz humorvoll passieren, wenn im Eifer des Gefechts gesagt werden kann: ich übe gerade.
Ich bin gespannt auf Ihr Feedback und wünsche Ihnen viel Erfolg dabei.
Wie immer freue ich mich, über ein reges Gedanken kramen mit Ihnen.
Alles Gute!
Ihre Aline Kramer
Hallo Aline, vielen Dank für diesen wieder mal sehr passenden Input. Mir ist beim Lesen aufgefallen, dass einem die Lösung des Konfliktes auf jeden Fall auch so viel Wert sein muss, dass man sich für diese unheimlich hilfreichen und im Grunde unumgänglichen Methoden überhaupt Zeit nimmt. Das werde ich mir zu Herzen nehmen. Danke!
Liebe Paula, das ist ganz richtig. Zeit gehört dazu und die entsprechende Haltung und Offenheit. Man muss das schon wollen, sonst wird es schwierig. Viel Erfolg und auch Freude am Wachsen!