Gedanken kramen

Gruppendenken

Heulen mit den Wölfen

Erinnerung

Mit ca. 13 Jahren gehörte ich über den Sommer zu einer Mädchenclique. Eigentlich war ich die Heulsuse der Klasse, aber ich durfte auch ein paar Mal dabei sein. Die Mädels waren besonders cool, hatten Westklamotten, Sonnenbrillen, lange Haare und schon etwas Brust. Ich hatte einen Igelschnitt und sah aus, wie ein Junge. Jedenfalls war ich keine Konkurrenz. Wir durften vor der Schule mit den 10. Klässlern an der „Stange“, einer Absperrung zur Straße hin, stehen und rauchen. Eines Tages gingen wir alle zusammen ins Freibad. Dort lagen wir mit den „großen“ Jungs auf den Terrassen und tranken „grüne Wiese“. Irgendjemand kam auf die Idee, vom Sprungturm zu springen. Die 7 ½ Meter Plattform war gerade geöffnet. Der Gruppenzwang lenkte mich beschwipst zum Turm. Mit schlotternden Knien folgte ich den anderen nach oben. Die Mädchen sprangen. Ich mit geschlossenen Augen hinterher. Boah, was für ein Aufprall, was für ein Schmerz. Allein kletterte ich aus dem Becken und schämte mich. Viele Jahre später wurde mir mein Fehler klar. Ich war einfach ein Schaf, eine Mitläuferin. Niemand interessierte sich für meinen Sprung, geschweige denn für mich.

Der Schutz einer Gruppe und ein Zugehörigkeitsgefühl ist überlebenswichtig für uns, dass hat sich evolutionär ergeben. Wir identifizieren uns mit anderen Menschen, ob das unsere Familie, die Schulklasse oder die Dorfgemeinschaft ist, ob ich Ossi, Berlinerin, Kulturliebhaberin oder Langhaarige bin. Mal ordnen wir uns freiwillig Gruppen zu, mal werden wir aufgrund von verschiedensten Merkmalen von außen in Gruppen gedrängt. Ob wir wollen oder nicht. Es gibt unausgesprochene Erwartungen und Regeln. Wir lernen sehr flink, welche soziale Verhaltensweisen in der jeweiligen Gruppe erwünscht und welche unakzeptabel sind.

Erfahrungen

Supervision bietet die Möglichkeit mit einem neutralen Dritten, dem Supervisor, auf alle möglichen Themen im beruflichen Kontext zu schauen und diese zu reflektieren. 

Vor einiger Zeit erlebte ich in einer Sitzung mit einem kleinen Kita Team folgendes:

Ich: „Über welche Themen wollen Sie heute nachdenken?“
Antwort der Leitung: „Alles okay, keine Themen!“
Ich: „Alles okay, klingt gut! Und … Was ist besonders okay? Erzählen Sie doch mal über Ihre Arbeit? Wie machen Sie das genau, dass alles okay ist? Was könnten Sie anderen empfehlen?“
Antwort der Leitung: „Ach … darüber müssen wir nicht reden.“
Ich: „Worüber dann?“
Antwort der Leitung: „Haben Sie keine Idee?“
Ich: „Nein, es ist Ihre Zeit!“ und an die anderen Teilnehmer:innen gerichtet: „Wie ist das bei Ihnen? Worüber möchten Sie reden?“
Antwort: Schweigen…

Das Team erlebte ich als sehr angepasst. Wenn eine Person etwas sagte, wiederholten die Nächsten diese Aussage mit anderen Worten. Alle Teammitglieder wirkten sehr gleich, fast eindimensional.

Wozu einen Blick von außen holen, wenn über Nichts reflektiert werden will? Ich bin als Supervisorin keine Entertainerin, die schon irgendetwas aus der Tasche zaubert. Dient die Supervision hier als Krücke? Was ist da los?

Die wertvolle Zeit plätscherte so dahin. Der „dicke Elefant“ im Raum war für mich spürbar. Darauf angesprochen wurden dieser in Abrede gestellt. Die Gruppennormen waren einfach zu stark. Es durfte nichts „Negatives“ geben, alle hatten Angst davor. Vor allem die Leiterin übte durch ihren Wunsch nach Harmonie und Einklang informellen Druck aus. „Wir sind eine coole Kita, da gibt es keine Probleme.“ Eine Zeit lang waren sie in einem solchen Hoch, das war großartig. Doch auch hier gab es Personalwechsel, neue Kinder, andere Eltern, veränderte Ansprüche, Erwartungen und Rahmenbedingungen. Mein Eindruck: Diese Entwicklung war eine Bedrohung. Sie durfte nicht ausgesprochen werden, denn dann wurde sie wahr.

Wenn es eine Kultur der Ablehnung gegen Personen gibt, die sich kritisch äußern oder einmischen, entsteht schnell ein Schweigen. Die Gründe können vielschichtig sein: Angst ausgegrenzt zu werden, also fehlendes Selbstvertrauen, wenig Selbstbewusstsein, die Sorge um die Karriere oder auch einfach Desinteresse.

Svenja Hofert bezeichne dieses Phänomen als das „Schweigen der Lämmer. Oft ist es weniger die Ahnungslosigkeit der Beteiligten als vielmehr die Tatsache, dass sich eine Gruppe wider besseren Wissens Einzelner auf eine gemeinsame Dummheit einigt.“ *

Alle Menschen orientieren sich an Gruppen. Welche Vorstellungen gibt es in meiner Familie, im Freundeskreis, in meinem Arbeitskontext, in meinem Ort, der Kirche, der Partei? etc. Wir passen uns an und denken ähnlich oder gleich. Wir sind also an der Bildung eines Gruppendenkens beteiligt. Es geht um das Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit. Durch die Anpassung an Gruppennormen sichern wir unsere Gruppenidentität. Außerdem sind Gruppenzuweisungen wie z.B. „Italiener essen Nudeln.“ oder „Veganer sind schwierig.“ in Diskussionen erst einmal leichter zu übernehmen. Denken in Stereotypen, macht es vermeintlich Außenstehenden, scheinbar leichter.  Josef Hader sagte einmal: „Vorurteile sind gelebte Erfahrungen. Von anderen. Die muss ich nicht selbst machen.“ Man muss sich nicht auseinandersetzen. Wenn man solchen Vorurteilen oder Meinungen wenigstens nonverbal zustimmt, gehört man dazu. Man zeigt keinen Widerstand, keine Schwäche und heult mit den Wölfen.

Natürlich ist es wunderbar ein Gefühl der Dazugehörigkeit zu haben. Das ist nicht verkehrt und auch nicht das Problem. Schwierig wird es, wenn in einer Gruppe die Gestaltungsmöglichkeiten verloren gehen, wenn die Personen nicht in ihrer individuellen Identität agieren und denken dürfen. Wenn die Führung autoritär ist, Stress durch Isolation entsteht und man sich lieber unterordnet, um nicht seine Privilegien zu verlieren.

Gruppendenken ist starr, irrational und bietet eine große Gefahr. Wenn die Gruppe, wie das Team in meinem Beispiel, über keine funktionierenden Mechanismen zur Auseinandersetzung verfügt, ist der Blick beschränkt und engstirnig. Es gib keine Möglichkeit, Kompromisse zu finden oder flexibel zu agieren. Das führt zu Fehlentscheidungen und im schlimmsten Fall zur Gruppenauflösung.

Experimente

Welche Möglichkeiten gibt es, um sich vor Gruppendenken zu schützen?

  • Wählen Sie in Meetings je nach Gruppengröße mindestens eine Person aus, die die Rolle des Advocatus Diaboli (lat. der Anwalt des Teufels) einnimmt. Das heißt, sie tritt einem vorschnellen Konsens entgegen, ist ablehnend und sammelt Gegenargumente. So können in der Diskussion negative Glaubenssätze und Dysfunktionales aufgedeckt werden. Vor und Nachteile werden gesammelt, offen dargestellt, mehrere Perspektiven werden betrachtet und es entstehen unterschiedliche Ideen. Da diese Rolle vorgegeben ist und es die Aufgabe ist Contra zu geben, fällt es nicht so schwer. Diese Gegenposition kann durchaus kultiviert werden und immer wechseln.
  • Anonymes Feedback oder Vorschlagboxen haben sich ebenso als nützliches Mittel gegen Gruppendenken bewährt. Kritische Meinungen können benannt werden, ohne das einzelne Personen verantwortlich gemacht werden können.
  • Außerdem können Sie alle an einem Thema beteiligten Personen in einen Entscheidungsprozess gleichberechtigt einbinden. Das ermöglicht eine umfängliche Betrachtung und eine höhere Wahrscheinlich von mehreren Alternativen. Hierbei sollten Sie allerdings eine gute Struktur verfolgen, damit Sie am Ende auch zu einer Entscheidung kommen und nicht endlos umher mäandern.
  • Letztlich hören Sie sich gut zu und fragen Sie nach.

Ein kurzes Beispiel: In einem Team wurde einmal ohne ersichtliche Gründe fürchterlich über Männer geschimpft. Da stimmte ich ein und sagte: „Ja und die Autofahrer!“ Es wurde aufgehorcht: „Wieso die Autofahrer?“ Ich fragte: „Wieso DIE Männer?“ Diese Intervention machte stutzig, sorgte für Leichtigkeit, eröffnete ein Grübeln und das Gespräch.  

*Svenja Hofert (Coach für transformative Führungskraft und Bestsellerautorin)

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