Gedanken kramen

Leitung mal anders

Erinnerung

In meinem Berufsleben arbeitete ich in diversen Positionen unter verschiedenen Führungskräften. Hier einige Beispiele, wobei die Namen der Personen ausgedacht sind.

Frau Luftikus gab uns Mitarbeiter: innen die volle Freiheit. Wir entschieden selbst, jede machte, was ihr in den Kopf kam, mal mehr mal weniger sinnvoll und fachlich gut. Manchmal, wenn es wichtig wurde, übernahm sie kurz das Ruder, dann ging es ziemlich chaotisch weiter. Ich würde sagen, Frau Luftikus war eher Zuschauerin.

Herr Bulle war sehr charismatisch, hatte eine unglaubliche Ausstrahlung, vor allem wenn es um Öffentlichkeitsarbeit ging. Er war freundlich, bestimmt, ein bisschen distanziert, eben der Chef und fertig! Einerseits wussten wir, wo der Hase langläuft und konnten recht schnell Ergebnisse erzielen. Auf der anderen Seite gab es wenig Kreativität und wenig mutige Meinungsäußerungen. Das Potenzial der einzelnen Mitarbeiter: innen wurde kaum genutzt.

Frau Wohlklang bevorzugte eine gefühlsorientierte Führung. Ihr Fokus war auf das interne Miteinander gerichtet. Sie versuchte eine harmonische Atmosphäre aufzubauen und das Team zu verbinden. Alle waren gleich, Individualität wurde nicht hervorgehoben. Durch uneindeutige Rollenverteilung kam es zu einem sozialen Faulenzen. Extramühe lohnte offenbar nicht. War Frau Wohlklang einmal nicht vor Ort, machte sich Hilflosigkeit breit.

Herr Freimut war offen, wollte immer wissen, was wir denken, und sorgte für ein angenehmes Arbeitsklima. Es gab thematische Arbeitsgruppen, in denen wir gemeinsame Inhalte und unsere fachliche Qualität entwickeln konnten. In Entscheidungsprozesse wurden wir einbezogen, am Ende hatte Herr Freimut das letzte Wort. Wir haben ihm vertraut und er genoss vollen Respekt. Diese kooperative Art der Führung förderte die einzelnen Mitarbeiter: innen, es entstanden wunderbare Ideen und Synergien. Unser Team war erfolgreich, hatte Freude an der Arbeit und wir fühlten uns dazugehörig.

Es ist nicht der Stärkste, der überlebt,

noch der intelligenteste, sondern derjenige,

der am meisten auf Veränderungen reagiert.

Charles darwin

Erfahrungen

Einmal kamen zwei junge Männer ins Führungskräftecoaching. Sie hatten vor einem halben Jahr die Geschäftsführung eines kleinen Kita Trägers übernommen und strebten die Entwicklung einer neuen Kultur an. Zunächst analysierten wir die IST - Situation und betrachteten dafür verschiedene Brillen. Zur Veranschaulichung einige wenige Auszüge aus dem komplexen Gebilde:

Strategie            

  • als stabilen Träger etablieren
  • hohe Fachlichkeit zeigen

Struktur           

  • starr und hierarchisch
  • klare finanzielle und administrative Rahmenbedingungen

Kultur            

  • Duz Kultur, Rituale
  • wenig entwickelte Fehler- und Feedbackkultur

Erwartungen an die Leitungen           

  • Durchsetzungsfähigkeit, Organisationsfähigkeit, Umsetzungsfähigkeit
  • Entwicklung der Mitarbeiter: innen, Belastbarkeit, Engagement

Netzwerk             

  • Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, dem KJPD, Ärzten, therapeutischen und anderen Fachdiensten

Fachkräfte            

  • Personalmangel, Schwangerschaften, Krankheiten, hohe Fluktuation
  • eher unsicher, unbeteiligt, geringe Veränderungsmotivation

Es gab viel Bewegung und eine große Instabilität. Den Umgang innerhalb der Teams beschrieben sie als eher unkollegial und unflexibel. „Das haben wir noch nie…“ oder „…schon immer so gemacht!“, waren typische Aussagen.

Das sollte anders werden! Sie hatten die Vision von neuem, möglichst agilem Arbeiten in ihren Einrichtungen.

Doch was sollte das heißen?

Es ging nicht darum Führungsvakuum durch Selbstorganisation zu ersetzen. Das wäre auch keine gute Idee und würde scheitern. Gestaltungsrahmen mussten definiert und funktionale Rollen verteilt werden. Außerdem galt es Entscheidungswege zu klären. Claudia Thonet, von der Agile Consulting GmbH nennt im Zusammenhang mit agiler Führung mehrere Spannungsfelder, die es auszutarieren gilt.

1. Kontrolle versus Vertrauen

„Erfolgreiche agile Führung muss demnach beides bedienen – und zwar je nach Bedarf in unterschiedlicher Ausprägung: Mal muss sie loslassen, mal muss sie Richtung geben, grundsätzliche Strukturen setzen, Entscheidungen treffen oder dafür sorgen, dass das Team an einmal getroffenen Entscheidungen und bestehenden Strukturen festhält.“ *

2. Nähe versus Distanz

Von einer Person in agiler Führungsrolle wird erwartet, dass sie dem Team sinnbildlich nah ist. Trotzdem müssen auch in diesen Kontexten manchmal unangenehme Entscheidungen getroffen und Grenzen gezogen werden. Dazu braucht man eine professionelle Distanz, die nicht jeder Leitung leichtfällt. 

3. Vielfalt versus Fokus

Hier geht es darum verschiedene Arbeitsweisen zuzulassen, mehrperspektivische Sicht- und Herangehensweisen als bereichernd zu erleben. Je nach Situation kann die Leitung entscheiden, ob Vielfalt oder Fokus gebraucht wird.

4. Bewahren versus Verändern

Hier ist die Aufgabe, eine Balance zu finden, einerseits zwischen dem Beibehalten von Bewährtem z.B. Aufgabengebiete zu haben, in denen sich die Mitarbeiter: innen auskennen, Routinen, die wenig Kraft kosten und andererseits die Begeisterung für Neues zu schüren, ungewöhnliche Wege zu entwickeln, unangebrachte Verhaltensweisen zu erkennen und abzulegen.

5. Aktion versus Reflexion

Agiles Arbeiten bedeutet flinkes Handeln, Experimentieren, Herausforderungen annehmen, eine hohe Flexibilität und Fehlerfreundlichkeit. Also in Aktion sein. Der besonders wichtige Gegenpol hier ist die Reflexion. Sich nicht blind in jede Situation zu werfen, sondern innezuhalten, zu hinterfragen und mit Bedacht zu agieren.

Die beiden Geschäftsführer merkten schnell, dass nur weil sie neue Strukturen, Rollen und Arbeitsweisen einführten, noch lange nicht die alten Muster aufgegeben wurden. Der Veränderungsprozess, der übrigens ca. 5 Jahre dauerte, fand dialogisch mit allen Mitarbeiter: innen statt. Es ging um ein gemeinsames Wachsen. Über die Zeit des Coachings hat mich besonders beeindruckt, dass sich beide Männer immer wieder kritisch hinterfragten. Offenbar war von Vorteil, dass sie in der Lage waren, sich selbst gut zu führen.

Da es wichtig ist, an einer Stelle zu arbeiten, mit der man sich identifizieren kann, gab es natürlich auch Personalwechsel. Nach und nach entwickelte sich im Träger eine andere Haltung, die heute geprägt ist von Selbstverantwortung, Problemlösefähigkeit und Flexibilität. Diese neuen Denk- und Handlungsweisen werden wirklich gelebt, aus ihr heraus wird geführt und sie bestimmt das gesamte Miteinander. Die Mitarbeiter: innen sind engagiert, haben Lust auf diese Arbeitsweise und dementsprechend inneren Schwung.  

Sie interessieren sich für ein Coaching? 

Experimente

Wenn Sie als Führungskraft mit Anteilen aus dem agilen Arbeiten liebäugeln, können folgende Ideen für Ihre Praxis nützlich sein.

1.Kontrolle versus Vertrauen

Setzen Sie einen klaren transparenten Rahmen, der Orientierung und parallel dazu Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume gibt.

2. Nähe versus Distanz

Nehmen Sie sich ein gutes Führungskräftecoaching oder gehen in Supervision. Sich professionell mit seiner Rolle zu befassen, sich zu reflektieren, seine Persönlichkeit zu entwickeln, ist nicht nur hilfreich und entlastend, sondern gehört auch zur Aufgabe von Leitungskräften.

3. Vielfalt versus Fokus

Lernen Sie zu erkennen, wann Sie sich mit Ihrem Team fokussieren sollten und wann der Platz für Vielfalt, für unterschiedlichste Sichtweisen ist. Hilfreiche Fragen sind: „Nach welchen Richtlinien Handeln wir?“ und „Was ist uns besonders wichtig?“

4. Bewahren versus Verändern

Bringen Sie Transparenz und Klarheit in Ihre Prozesse. Visualisieren Sie gemeinsam im Team eine Waage. Tragen Sie die Inhalte zusammen, die verändert und die die bewahrt werden sollten. Stellen Sie gemeinsam eine Balance her und versuchen diese zu leben.

5. Aktion versus Reflexion

Etablieren Sie Reflexionsroutinen. Zum Beispiel Supervision oder Teamtage. Stellen Sie Ressourcen zur Verfügung und schaffen Räume in denen Rückblick möglich ist.

Zeitgemäße Führung bedeutet nicht Machtspiele zu spielen, sondern den Mitarbeiter: innen auf Augenhöhe zu begegnen. Es geht darum, wen Sie, mit welcher Absicht und in welchem Kontext führen.

Reflektieren Sie Ihr Führungsverhalten mit folgenden Fragen*:

  • Wie will ich (gerade) wahrgenommen werden? Als Expertin, Managerin, Coach, Impulsgeber ...?
  • Was will ich in meiner Führungsrolle bei anderen erreichen?
  • Wie sollen sich die Teammitglieder durch meine Führung fühlen?
  • Wodurch soll meine Führung in deren Augen gekennzeichnet sein?
  • Wer ist für mich ein Vorbild für gute Führung und warum?
  • Wer ist meiner Meinung nach ein schlechtes Vorbild für Führung und warum?
  • Wer war in meiner Kindheit prägend für meine Vorstellung von Führung?
  • Was sind Herausforderungen und Entwicklungszonen in meiner Führung?
  • Wie gehe ich mit meinen eigenen Grenzen um?

*Quelle: www.managerseminare.de; Claudia Thonet 2023

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